Geschichte des Automobildesign Folge 12: Gestalterische Investitionen

Europa in den 1950er Jahren: Während sich die Nachkriegswirtschaft erholt und neue politische und wirtschaftliche Stabilität in Europa einzieht, erweist sich die Nachfrage oft größer als das Angebot. Die Aussicht auf ein funktionierendes Produkt lässt sein Aussehen oft in den Hintergrund treten. Auch beim Automobil.

Bis 1955 produzierten die meisten Hersteller leicht modifizierte Vorkriegsmodelle. In den wenigen Stylingabteilungen standen Männer, die schon Ende der 30er Jahre dort gestanden hatten: Herrmann Ahrens und Friedrich Geiger bei Mercedes, Peter Szymanowski und Wilhelm Meyerhuber bei BMW, Erwin Kommenda bei Porsche. Ford und Opel arbeiteten nach Vorgaben aus den USA, »Gastdesigner« aus den großen Stylingstudios zeigten ihren deutschen Kollegen, wo es lang gehen sollte. Doch um 1957 änderte sich die Einstellung. Design war ein Verkaufsargument auf einem Markt geworden, der durch das Wirtschaftswunder plötzlich hart umkämpft war. Das amerikanische Design war durch die vielen in Deutschland stationierten US-Truppen gegenwärtig. Die italienische Schule machte mit italienischen Sportwagen, aber auch mit Entwürfen für Peugeot, Austin, Triumph auf sich aufmerksam und setzte Trends.

Neue Linien

1957 stellt Mercedes zwei junge Designer ein, den Franzosen Paul Bracq und den Italiener Bruno Sacco. Unter ihrem Chef Geiger erarbeiten sie die neuen Linien für die 1960er Jahre. Heraus kommen die berühmten Flachkühlermodelle W111/112, der Pagoden-SL und der 600. Sie katapultieren die biedere Marke plötzlich auf eine Höhe mit italienischen oder französischen Entwürfen, was man bei Mercedes nicht gerne sieht – bloß nicht modisch werden.

Mercedes Benz Reihe W111 – 1961 der Beginn der Abkehr vom Flossenbarock (Daimler AG)

BMW geht es zur gleichen Zeit so schlecht, dass eine Übernahme durch Mercedes denkbar scheint. Veraltete Modelle (der »Barockengel«), eine lückenhafte Modelpalette, verfehltes Management. Auch der von Goertz designte Supersportwagen 507 kann daran nichts ändern. Mit Geld der Familie Quandt und einer neuen Modellpolitik gelingt die Wende. Dazu trägt nicht unwesentlich ein italienischer Designer bei: Giovanni Michelotti gestaltet den Kleinwagen BMW 700, der ein Verkaufsschlager wird und arbeitet danach maßgeblich an den neuen Mittelklassemodellen 1500 und 2000 mit, der legendären »Neuen Klasse«, die mit dem Motto »Aus Freude am Fahren« eingeführt wird.

BMW 700: klassische Trapezform von 1960. Design Giovanni Michelotti (Foto: BMW AG)

Styling als Sieg der Vernunft

1960 sieht es so aus, als könne kein europäischer Hersteller auf die Hilfe externer Designer – in der Regel Italiener – verzichten. Doch dann tritt Ford den Gegenbeweis an mit dem Modell  17M/P3. Ein Team um den aus dem Ford Styling Headquarter kommenden Wes Dahlberg und dem jungen deutschen Designer Uwe Bahnsen entwirft eine hochmoderne, elegante Karosserie, die übersichtlich, klar geformt und auch noch strömungsgünstig ist. Die Front mit den in die Karosserie integrierten Stoßstangen und den in die Stoßstangen integrierten Blinkern wird ein Leitbild für alle Ford Modelle bis in die Siebzigerjahre. »Die Linie der Vernunft« textet das Marketing.

Linie der Vernunft: Große Glasflächen, glatte Karosserie, integrierte Front. Der Ford 17M / P3 setzte 1961 Maßstäbe im Design (Foto: Ford AG)

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