Kann das weg? Design im und für das 21. Jahrhundert

Welche Rolle kann und muss Design jetzt einnehmen? Wir müssen umdenken, wirtschaftlich, politisch, ökologisch – und auch in puncto Design. Damit sind nicht nur Designer:innen gemeint, sondern alle: User, Wirtschaft, Gesellschaft, Politik. Es ist Zeit, Design wieder als das zu denken, was es einmal hätte sein sollen: Eine umfassende Denk- und Gestaltungspraxis, die die Verbesserung von Lebensverhältnissen als oberste Maxime hat, die Schaffung von gesellschaftlichem Mehrwert und sinnvolle Nutzung von Objekten auf ihre Fahnen geschrieben hat, seien sie analog oder digital, haptisch oder virtuell.

Als im Februar 2020 die COVID-19 Pandemie begann und mit einem Mal Einschränkungen, Liefer- und Versorgungsengpässe Realität wurden, als über problematische Lieferketten und Abhängigkeiten diskutiert wurde, als die Pandemie mit den vielen Toten und den Lockdowns ein Einhalten erzwang – da gab es die vage Hoffnung, dass diese epochale Pandemie zu einem Wandel im Verhalten führen könnte: zu einem nachhaltigen, verantwortungsvollen, bewussten Verbrauch von Gütern, Dienstleistungen, Kommunikation. All das, was seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten, von Vertretern verschiedenster Disziplinen gefordert wurde, auch von Designern, hätte nun im Schatten von Klimakatastrophe, weltweiten Migrationsströmen und vielem mehr realisiert werden können. Finanzkrisen, Klimakrisen, durch Territorialkonflikte verursachte Flüchtlingsströme u.v.m. hätten uns vor Jahren schon wachrütteln müssen, um innezuhalten und nachzudenken. Doch nach der Pandemie war vor der Pandemie. Nun sehen wir uns seit Ende Februar 2022 der Gefahr eines Atomkriegs gegenüber, verbunden mit geopolitischen Verwerfungen und humanitären Katastrophen ungeahnten Ausmaßes. Wollen wir als Designer so weitermachen wie bisher? Ist unsere Disziplin, unser Knowhow, unsere Intuition, unsere Wissenschaft so schlaff, dass wir weiter gestalten und uns weiterhin in den Dienst verschiedener Aufraggeber stellen, als wäre nichts geschehen?

Design ist überall, es ist entgrenzt und es reicht von ehrlicher Verbesserung menschlicher Bedürfnisse bis hin zu den glossy lackierten Dummheiten einer Oberflächenindustrie, die uns Schein und umsatzgetriebenen ästhetischen Wandel als essentiell verkaufen will. Das gilt nicht nur für die Werbung, es gilt genauso für das Produktdesign, es gilt für Mode, es gilt für die Gestaltung von Wohnraum und öffentlichem Raum, es gilt für digitalisierte Dienstleistungen, Informations- und Kommunikationsmedien. Wann sagen wir endlich als Designer: Stopp, das ist dumm, das ist unwürdig, das beleidigt die menschliche Intelligenz, das zerstört Zusammenhalt und fördert stattdessen Vereinzelung und Orientierungslosigkeit?

Design war einmal ein ehrenwerter Beruf, eine verantwortungsvolle Aufgabe, für die sich Menschen mit einem ganzheitlichen Verständnis von der Welt verschrieben hatten und Lösungen entwickelten, die länger als eine Saison, eine Kampagne, einen Trend halten sollten und hielten. Warum bewundern wir heute noch Designleistungen von vor 100, von vor 50, von vor 20 Jahren als vorbildlich, inspirierend, zeitlos gültig? Offensichtlich, weil Menschen länger und tiefer und breiter über Lösungen nachdachten als wir das heute tun. Es klingt nach moralinsaurem Rigorismus, nach Spaß verderben, wenn man sich vornähme, jede Designaufgabe daraufhin abzuklopfen, ob sie auch für Menschen in Not Sinn macht; aber im Moment sollte man sich dieser Prüfung hin und wieder unterziehen.

Die Probe heißt: Kann das weg? Oder ist es sinnvoll und notwendig?

Design ist vieles: Problemlösung, Orientierung, Information, Kommunikation, gesellschaftlicher Status u.v.m. Design ist nie nur von Designer:innen verantwortet, Design verantworten wir alle, indem wir z. B. Dinge konsumieren, obwohl sie schlecht designt sind, von Convenience-Food bis zum Auto und Social Media. Design wird vor allem von Nicht-Designern verantwortet, die entscheiden, dass Produkte und Dienstleistungen entwickelt werden, obwohl sie schlecht sind, unnütz, schnelllebig, verdummend, einer absurden Marktlogik geschuldet[1]. Als Designer und Designerinnen müssen wir sagen: Nein, das mache ich so nicht, das kann ich nicht verantworten.

Ich weiß, was jetzt kommt: Freiberufliche Designer, Studios, Agenturen sind Dienstleister und als solche Befehlsempfänger, die sich nach dem Prinzip „Friss oder stirb“ auf dem Markt bewegen; es sei weltfremd von mir, solch eine Forderung zu formulieren… Allein, ich glaube, die Forderung ist so wenig weltfremd wie der menschengemachte Klimawandel, wie Ressourcenverschwendung und Krieg. Lasst uns aufhören, Design-Ressourcen zu verschwenden! Es gibt Fake News und es gibt Fake Design, Objekte, die so tun, als seien sie für etwas gut. Es ist Zeit, Design wieder als das zu denken, was es einmal hätte sein sollen: Eine umfassende Denk- und Gestaltungspraxis, die die Verbesserung von Lebensverhältnissen als oberste Maxime hat, die Schaffung von gesellschaftlichem Mehrwert und sinnvolle Nutzung von Objekten auf ihre Fahnen geschrieben hat, seien sie analog oder digital, haptisch oder virtuell. Es gibt viele Ansätze für eine gesellschaftlich fokussierte Designpraxis, die die Fixierung auf Marktanteile, Wachstum, Oberflächeninnovation und Instant Rewarding zugunsten von Sinnhaftigkeit, Nutzerkultur, Langlebigkeit und Wiederverwendung aufzulösen versucht. Transformation Design, Transition Design, Society Centered Design, Social Design – viele Ansätze gehen bereits den Weg in eine Designzukunft, die sich vom Ad hoc-Styling verabschiedet.

Nachhaltiges Handeln für die Zukunft heißt, weniger von allem zu verbrauchen (Ressourcen, Energie, Nahrung, Kleidung…) – müsste dann für Design nicht das gleiche gelten?. Ein Großteil aller Designleistungen sind überflüssig, weil sie schlecht gemacht, kurzfristig gedacht oder schlicht unnütz sind. »Less« ist nicht per se »more« (L. Mies v. d. Rohe), aber weniger wird meistens besser sein (Dieter Rams): Weniger, dafür besser durchdacht, besser gemacht, länger erprobt, nachhaltiger produziert, von Anfang an auf die möglichen Folgen hin designt. Das bedeutet viel mehr Arbeit für Designer:innen, aber weniger schneller Output. Die Frage auch hier: Kann das weg? (Auf die zwei Drittel Designschrott, mit denen wir es täglich zu tun haben, können wir alle verzichten; nur die Frage der Entsorgung muss noch geklärt werden…)

Designer und Designerinnen sind keine Erfüllungsgehilfen, sie dürfen sich aber auch nicht so positionieren. Wenn Unternehmen die Transformation in ein anderes Wirtschaften und in eine andere Beziehung zwischen Produkt, User und Gesellschaft angehen und erfolgreich bewältigen wollen, brauchen sie dafür Designer: Menschen, die ästhetisch denken und gesellschaftlich sinnvoll gestalten. Diese Fähigkeit zur Gesamtsicht und zur Gesamtform kann das Design Thinking für Nicht-Designer niemals leisten; Design Thinking kann Nicht-Designern ansatzweise den Blick von Designern vermitteln, aber es macht sie deshalb noch lange nicht zu solchen. Wenn Gesellschaften, ja die Welt eine Transformation zu nachhaltigem Wirtschaften als Chance für ihr Fortbestehen erkannt haben, braucht es Designerinnen und Designer, um diese Prozesse zu gestalten: integrativ, partizipativ, interdisziplinär, sinnhaft.

Design hat eine Verantwortung für unsere Welt, denn das Design hat daran mitgewirkt, sie so zu formen, wie sie sich uns heute präsentiert: vermüllt, ausgebeutet, sinnentleert. Mit Ernst Ulrich von Weizäcker kann man behaupten, dass Designer:innen Teil dieses Problems sind[2], deshalb sollten sie im 21. Jahrhundert wenigstens dazu beitragen, die durch sie verursachten Probleme zu lösen: Mit einem Design-Clean-up für eine weiterhin bewohnbare Welt.


[1] Ich war mehr als 20 Jahre in der Werbung und weiß, wovon ich rede.

[2] Schmidt-Bleek, F. und Tischner, U. 1995:5

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