The Retro TIMES

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Wir leben in einem neuen Architektur-Historismus. Ein großer Teil der zeitgenössischen Architektur zitiert die Moderne zwischen 1920 und 1950 und kommt als zeitgemäß, modern, ja sogar als avantgardistisch damit durch! Man hat zwar ein bisschen das menschliche Maß verloren – die Fenster sind häufig zu klein, bei Individualbauten reicher Mitbürger dann wieder viel zu groß – aber seit Mies‘ Pavillon für Barcelona 1928 hat sich eigentlich nichts verändert. Fröhlich wird die Avantgarde „zitiert“ (postmoderne Umschreibung für: „mir fällt selbst nichts Besseres ein“) und aufgeblasen. Nehmen wir mal diese klobigen Klötze in Köln am Rhein (Anm.: Das Foto ist vor geraumer Zeit gemacht worden, als die Dinger noch im Bau waren.) Diese „Kranhäuser“ erinnern doch an … was war es noch? Richtig! Zum Beispiel an das hier:

Der gute El Lissitzky: „Wolkenbügel“ hat er seine Kranhäuser genannt und nicht ganz so klotzig in die Moskauer Innenstadt von 1928 projeziert.

Rückgriffe, Verweise, Zitate hat es nicht nur in der Architektur häufig gegeben. Aber heute ist es mit der einstmals „heroisch“ genannten Moderne wie weiland mit dem Neoklassizismus oder dem Neobarock: Wer keine Idee und keine ästhetische Bildung hat, verlässt sich auf die Fundamente einer Epoche, die zwar dahin ist (und mit ihr viele Ideen), die aber, weil sie „Moderne“ heißt, ja irgendwie immer noch „modern“ ist! Dieselben Leute, die heute Luxusapartements im „Bauhaus-Stil“ in Auftrag geben, hätten die Vertreter dieser Bewegung damals vermutlich für verrückt erklärt, wenn sie in ihren Historismus-Villen über den Verfall der Sitten salbaderten.

Modern ist der Infinitiv eines Verbs: Ich modere, du moderst, wir modern…

Ich bin ja kein Kulturpessimist – es entstehen auch neue Formen. Das Ding ist, dass Formen immer an Inhalte gekoppelt sind. Wenn einer Gesellschaft der Glaube an Fortschritt und Veränderung ausgeht, besinnt sie sich auf die Formen der Vergangenheit, blendet jedoch gleichzeitig viele Aspekte der Historie aus, die sie als störend empfindet. Bauhaus und Konstruktivismus mit den sozialen Ideen von damals? Die Leute möchte ich heute mal sehen, die das Design ihres Apartments mit der Frage nach dem Existenzminimum verknüpfen. „Unerhört, diese einfachen Formen sollen mal etwas mit gesellschaftlicher Utopie zu tun gehabt haben? Hans, wir dekorieren um!“