Weissenhof (re)visited

Die Stuttgarter Weissenhofsiedlung gilt als Vorzeigeobjekt des International Style, des funktionalistischen Bauens á la Bauhaus und Konsorten. 1927 als avantgardistisches Prestigeobjekt eingeweiht, als ein Show-off der ultimativen Trend-Architektur, versammelten sich dort ursprünglich 33 Gebäude von 16 Architekten bzw. -teams. Es ist alles versammelt, was in der Nachschau Rang und Namen hat: Vom holländischen De Stijl sind Jan-Pieter Oud und Mart Stam dabei, aus der Schweiz bzw. Frankreich Le Corbusier und P. Jeanneret, aus Belgien Victor Bourgeois, aus Deutschland und Österreich Mies van der Rohe, Peter Behrens, Hans Scharoun, Walter Gropius, Bruno Taut, Hans Poelzig  u.v.a.

Ich kannte nur die alten Schwarzweiß-Aufnahmen, die kurz nach der Vollendung entstanden; übrigens hat die Daimler-Benz AG schon 1928 Werbefotos mit Autos und attraktiven Fahrerinnen vor dem Corbusier-Bau machen lassen. Im 2. Weltkrieg wurde gut die Hälfte der Gebäude zerstört, u.a. auch deshalb, weil die Wehrmacht eine Flakstellung wohlweislich direkt vor die Weissenhofsiedlung postiert hatte – wenn die „bolschewistischen“ Kästen draufgingen, nicht weiter schlimm.

Seit einigen Jahren ist das Corbusier-Wohnhaus renoviert und zum Museum geworden. Das Haus war ursprünglich als Doppelhaus mit zwei Wohneinheiten geplant, die Dachterasse stand beiden Parteien gleichzeitig zur Verfügung. Der rechte Hausteil ist heute begehbare „Musterwohnung“, der linke ist Museum.

Die beiden Schlaf-/Wohnräume sind durch eine Schiebetür getrennt (hinter dem Schrank verborgen).

Die „Einrichtung“ bestand aus ursprünglich in Beton gegossenen und glatt verputzten Schränken (heute aus Holz nachgebaut). Dem Schweizer Puritaner Corbusier war Ordnung und Sauberkeit wie beim Militär oder bei den Hutterern sehr wichtig. Darüber kann auch die für Funktionalisten „bunte“ Palette nicht hinwegtrösten. (Wir nehmen mal an, dass die Bewohner in früheren Zeiten möglicherweise Bilder an der Wand hatten…) Rechts sieht man die Tür zum Flur bzw. Treppenhaus. Würde man durch sie hindurch nach links gehen, käme man durch einen 80 cm breiten Gang (Schlafwagenmaß – Corbu hatte ja was für Maschinen und fahrbare Untersätze übrig!) zu einer Micro-Waschstelle.

Die Dachterasse versöhnt dann mit Einigem. Ein großartiger Blick über Stuttgart, hier lässt sich bestimmt schön grillen. Aber ob der Corbu das gut geheißen hätte?

Die Weissenhofsiedlung war vor allem eine Bauausstellung, eine Muster- und keine echte Wohnsiedlung, schon gar nicht für die hehre Zeilgruppe einiger Bauhäusler, „den Arbeiter“. Es war sogar schwierig, überhaupt Mieter für Corbus Wohntraum zu finden, selbst modern eingestellte bildende Künstler hatten ihre Probleme mit der Raumaufteilung. Sieht man einige andere Häuser daneben (z. B. die Wohnfabrik von Mies van der Rohe), dann hat Corbus Haus sogar etwas Freundliches.