Planeten

Lars von Triers »Melancholia« ist ein ganz großer Film. Die Vorstellung, die Welt, unsere Welt könne von einem riesigen Planeten zerstört werden, wird in einem Kammerspiel erzählt, in dem lange offen bleibt, ob es sich um die Visionen und Phantasmagorien einer Depressiven handelt oder aber um Realität. Vor allem aber erzählt Lars von Trier in Bildern – und obwohl es banal klingt: das war einmal der Sinn von Kino. Natürlich basiert jeder Film auf Bildern, aber Dialoge, Erzählstränge, Plots, Schnitte und Postproduction machen viele Filme zu Sprachmonstern mit Bildspur. Darauf vertrauen, dass man mit Bildern erzählen kann, langsam und ruhig, tun nur noch wenige. Auch deshalb ist »Melancholia« ein großartiger Film.

Ich habe mich durch Melancholia an einen anderen Film erinnert, an Michelangelo Antonionis »L’eclisse« von 1962. Es ist ein radikaler Film, der viele Zuschauer ratlos lässt (schon bei seiner Uraufführung), weil es lange Passagen nicht nur ohne Text, sondern auch ohne Darsteller gibt. Die ca. 20-minütige Schlusssequenz zeigt die urbane Mondlandschaft einer Vorstadt in aneinander gereihten bewegten Fotos: Die Kamera bewegt sich kaum, manchmal fährt ein Bus durchs Bild oder ein Einspänner. Es ist Sonnenfinsternis, das Licht gespenstisch, das weiche Schwarzweiß des Films tut sein übriges. Gezeigt wird die Straßenecke, an der sich die Protagonisten des Films verabredet hatten, aber beide nicht erschienen:Die Kamera ist wie ein Passant, der an dieser Ecke steht und darauf wartet, dass etwas geschieht. Aber es geschieht nichts, außer, dass die anderen Menschen ihr Leben leben. Und so wie die Liebelei der Protagonisten vorbei ist, ist der Film vorbei, aber man könnte meinen, mit der Welt sei es auch vorbei, wie bei »Melancholia«.

  • Veröffentlicht in: Film